Die Laute (German Edition) by Roes Michael
Autor:Roes, Michael [Roes, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Matthes & Seitz Berlin
veröffentlicht: 2013-06-05T22:00:00+00:00
36
»Alles das geschieht mit der Selbstbeherrschung und Sicherheit eines Mannes, der keinen Menschen als über sich stehend anzuerkennen gewohnt ist.«
Ist das der Grund, warum sich jeder junge Leser auf die Seite der Indianer schlägt, diese Gebärde des Stolzes? Asis wünschte, er könnte die Rolle des aufrechten Kriegers mit so vollendeter Anmut spielen wie dieser Wilde. Aber wer würde heute noch um seiner Ehre willen sein Leben opfern?
Der Indianer war sich der tödlichen Gefahr voll bewusst, erinnert sich Asis. Aber mit keiner Regung zeigt er seine Angst. Nur die Augen verraten das wilde Tier in ihm, das vom Stolz gehindert wird, den todbringenden Sprung auszuführen.
Irgendjemand berührt unsanft seinen Arm. Mühsam zwingt Asis die verklebten Lider auf, ohne am Anfang viel mehr zu erkennen als eine makellose Uniform. Er selbst hingegen fühlt sich dreckig. Fühlt sich nicht nur so, ist es nach diesen Stunden im Polizeigewahrsam auch. Seine Hose stinkt nach Urin, sein Gesicht und seine Hände sind blutverschmiert, die Lippen sind noch angeschwollen, und sein Mund ist trocken wie Sandpapier. Jede Faser seines Leibes schmerzt, sein Kopf noch teuflischer als die überdehnten Schultergelenke, die Nieren und die Leber.
Im Büro trifft er auf Amir. Er ist blass. Seine Augen sehen aus, als habe er die ganze Nacht weitergeweint. Auf dem Tisch liegen ihre Sachen. Der Sergeant fordert sie auf, alles einzustecken und ein Papier zu unterschreiben. Ihre Geldbörsen sind leer geräumt. Keinem der beiden steht der Sinn nach Protest. Sie waren ohnehin nicht prall gefüllt.
Sie wissen nicht, ob Ghufran und Mansur schon entlassen worden sind. Der Sergeant befiehlt ihnen, sich auf die Besucherstühle an der Wand zu setzen und zu warten. Er erklärt ihnen nichts.
Hat er inzwischen verstanden, dass sie taub sind? Wie auch immer, Asis hat es endlich begriffen. Es war eine schmerzhafte Lektion, die er nie vergessen wird. Doch nun weiß er wenigstens, wohin er gehört.
Amirs Vater betritt das Büro. Unsicher, beschämt. Er fragt nicht seinen Sohn, er fragt den Sergeanten, was vorgefallen sei. Und als der Sergeant ihm erklärt, dass man seinen Sohn betrunken aufgegriffen habe, als er im Café Sakran randalierte, nickt sein Vater, dreht sich zu Amir um und schlägt ihm so heftig ins Gesicht, dass Amirs Nase zu bluten beginnt.
Amir blickt seinen Vater nicht an. Asis versteht, dass Amir sich schämt. Aber er versteht nicht, warum Amirs Vater nicht zu seinem Sohn hält. Die Polizei hat sich ungesetzlich verhalten. Hat einen Minderjährigen ins Gefängnis gesperrt und erst einen Tag später die Eltern verständigt. Wenn der Vater seinen Sohn schon bestrafen muss, dann nicht vor den Augen dieser Polizisten!
Haben sie auch Ali al-Halawi benachrichtigt? Wird Ali ihn ebenfalls vor aller Augen züchtigen? – Amirs Vater führt seinen Sohn aus dem Büro, ohne auch nur einen Blick mit Asis gewechselt zu haben.
Als Ali al-Halawi ins Büro tritt, wirkt er alles andere als unsicher oder verschämt. Er trägt die Uniform des Zollinspektors, obwohl er normalerweise in Zivil zum Dienst geht. Er sieht Asis auf dem Besucherstuhl und wirkt für einen kurzen Augenblick erleichtert. Dann entdeckt er, wie man ihn zugerichtet hat.
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